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Gespräch mit einer Seenotretterin

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Annika ist Seenotretterin bei United4Rescue. Sie war kurz vor Ostern 2024 auf der „Humanity 1“, einem Bündnisschiff von United4Rescue aktiv. Wir hatten die Möglichkeit, ihr Fragen zu stellen. Ihre Geschichten von Rettung und Menschlichkeit werfen ein neues Licht auf die Bedeutung von Tod und Auferstehung – nicht nur in biblischen Erzählungen, sondern auch in den aktuellen Herausforderungen unserer Zeit.

Eure Fragen – Annikas Antworten

  • Wie gehst du persönlich oder im Team damit um, wenn eine Rettung erfolgreich verläuft, aber auch, wenn sie nicht erfolgreich ist und die Person nur noch tot geborgen werden kann oder gar nicht mehr aufgefunden werden kann?
  • Wie verarbeitest du die belastenden Erfahrungen, die du gemacht hast?

Sehr wichtig ist für mich das Gefühl: ich stehe nicht allein vor dieser Situation, sondern im Team. Es gibt tatsächlich oft sehr schwierige Situationen, z.B. war es bei der letzten Rettung, bei der ich dabei war so, dass mindestens eine Person wohl nicht gerettet werden konnte: Libysches Patrouillenboot bedroht Rettungscrew und Menschen in Seenot – SOS HUMANITY (sos-humanity.org). Gleichzeitig hilft es zu sehen, dass sich alles für jede einzelne Person, die sicher auf unser Schiff kommt, lohnt. Jedes Menschenleben zählt. Bei der Verarbeitung hilft mir, dass wir im Team nicht nur Schweres zusammen erleben, sondern z.B. auch gemeinsam Sport machen. Das hilft, das Erlebte gemeinsam zu verarbeiten.

Fotos: SOS Humanity / Alessio Cassaro

  • Was gibt dir die Kraft, weiterzumachen?
  • Woher nimmst du die Energie, um zu helfen?

Wie United4Rescue es ausdrückt: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Eigentlich stellt sich die Frage auch gar nicht, denn nach internationalem Seerecht muss jeder Mensch aus Seenot gerettet werden. Solange die Staaten dieser Pflicht nicht nachkommen, handelt gerade die Zivilgesellschaft. Es ist sehr frustrierend zu sehen, dass keine flächendeckende staatlich koordinierten Seenotrettung im Mittelmeer stattfindet, gleichzeitig finde ich es sehr wichtig, diesen Missstand deutlich zu machen und zumindest so viel wie möglich zu helfen. Ich durfte viele wunderbare Menschen auf dem Mittelmeer treffen – Mütter, Brüder, Schwestern, Freund*innen – alles Menschen wie du und ich. Für jede und jeden einzelnen von ihnen lohnt sich der Einsatz. Stimmen – SOS HUMANITY (sos-humanity.org)

  • Wie schaffst du es, die Hoffnung nicht aufzugeben angesichts einer menschenfeindlichen Abschottungspolitik, bei der die Außengrenzen wichtiger sind als Menschenleben?

Das ist tatsächlich oft schwer. Gleichzeitig ist nichts zu tun ja auch keine bessere Option. Dass so viele zivile Seenotrettungsorganisationen, Bündnisse wie United4Rescue, das auch von der Kirche unterstützt wird und verschiedene Menschen aus ganz Europa sich einsetzen, gibt mir weiterhin Hoffnung. Demokratie ist Arbeit und ich hoffe, dass durch den stetigen Einsatz von den Seenotretter*innen auf See und an Land Veränderungen möglich sind. Und wie es ja auch der christliche Glaube sagt: jedes einzelne Menschenleben ist unendlich kostbar. Für mich als Christin ist es deswegen auch unbedingter Auftrag, hier einen Beitrag zu leisten.

  • Spürst du Wut gegenüber den Verantwortlichen?
  • Wie gehst du emotional mit dem Rechtsruck in Europa um, der deine Arbeit zu verhindern versucht?

Ja! Vor allem dann, wenn ich erlebe, dass Menschen, die in Verantwortung sind und Entscheidungen treffen, sich nicht mit der Situation auseinandersetzen. Sobald Menschen sehen: da schweben Menschen in Lebensgefahr, es muss geholfen werden. Dann ist das ganz klar. Ich habe oft das Gefühl, dass viele Menschen in Verantwortung diese direkte Verbindung gar nicht direkt sehen und das macht mich wütend. Gleichzeitig wäre eine andere Politik möglich. Im Jahr 2014/15 gab es z.B. den Mare Nostrum Einsatz der italienischen Küstenwache, die allein 150.000 Menschen aus Seenot gerettet hat. Das wäre auch jetzt möglich, wenn sich die EU-Staaten darauf einigen könnten. Auch Dinge wie die direkte Zusammenarbeit und die Unterstützung der sogenannten libyschen Küstenwache macht mich sehr wütend.

  • Wie gehst du mit deiner eigenen Angst um, wenn du z.B. in die stürmische See musst?
  • Was ist die gefährlichste Situation, die du bisher erlebt hast?

Die zivilen Seenotrettungsschiffe operieren sehr professionell, werden von erfahrenen Seeleuten gesteuert und wir durchlaufen viele Trainings bevor wir in den Einsatz gehen. Deswegen habe ich z.B. vor stürmischer See zum Glück keine Angst. Gleichzeitig habe ich persönlich schon Respekt vor sehr schwierigen Situationen, z.B. wurden wir bei der letzten Rettung, bei der ich dabei war, mit Gewehren von der sogenannten libyschen Küstenwache bedroht, die sogar einen Schuss ins Wasser abgefeuert haben. Das war wahrscheinlich die gefährlichste Situation, zumindest für uns als Crew, die ich in letzter Zeit erlebt habe. Hier der Einsatzbericht: Sei dabei: Unser Einsatz Nr. 11 – SOS HUMANITY (sos-humanity.org)

  • Wie können die Kirchen und Christ:innen die Aktionen der Seenotrettung unterstützen?

Es gibt sehr viele Möglichkeiten! Natürlich hilft es immer zu spenden: ohne Geld kann kein Rettungsschiff Hilfe auf dem Mittelmeer leisten und Menschenleben retten. Gerade jetzt sind Treibstoff etc. teuer und die italienische Regierung weist den zivilen Rettungsschiffen besonders weit entfernte Häfen zu, was die Kosten weiter in die Höhe treibt. Das ist eine ganz konkrete Sache. Gleichzeitig ist es auch wichtig, weiterhin auf die Situation aufmerksam zu machen. Deswegen kann jede Gemeinde, jeder Verein, jedes Unternehmen Bündnispartner bei United4Rescue werden: https://united4rescue.org/de/das-buendnis/buendnispartner-werden/. Das kostet nichts, aber hilft zu zeigen: wir sind viele Vertretende aus unterschiedlichen Ecken der Gesellschaft, und finden alle: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Ansonsten sind die Menschen, die wir auf dem Mittelmeer retten, letztendlich ja auch oft die gleichen Menschen, die in unseren Städten, Gemeinden und Dörfern ankommen. Ihnen bei der Erleichterung des Ankommens und der Integration zu helfen ist meiner Meinung nach ebenso wichtig wie die Rettung auf See! Jede und jeder kann hier etwas beitragen, besonders auch die Kirchen.

  • Wie werden die Menschen gerettet?

Grundsätzlich fängt der Einsatz mit dem Suchen von Seenotfällen an. Boote in Seenot finden wir entweder durch eigene Sichtung von unserem Ausguck oder durch Hinweise von anderen NGOs wie z.B. Alarmphone oder durch die Küstenwachen. Wenn wir in der Nähe eines Bootes in Seenot sind, wird die Crew über den Ruf „Get Ready For Rescue“ informiert. Das heißt: alle auf Position. Die orangenen Schnellboote (RHIBs) werden dann zu Wasser gelassen und nähern sich dann dem Seenotfall. Zuerst werden Rettungswesten ausgeteilt, nachdem die Menschen dann vom Boot in Seenot gerettet und zu unserem Hauptschiff gebracht. Dort bekommen sie erste medizinische Hilfe, trockene Kleidung, können sich waschen, um dann das erste Mal seit Langem in Sicherheit zu schlafen. Nach einer Rettung gibt es einen Standardablauf, in dem die medizinischen Bedarfe priorisiert werden und später zum Beispiel Gruppendiskussionen in verschiedenen Sprachen zum Thema internationaler Schutz geführt wurden.

  • Was hat dich dazu bewogen, in der Seenotrettung zu arbeiten?

Da gibt es zwei Ebenen: einerseits habe ich Internationale Beziehungen und Internationale Nothilfe studiert und bereits für verschiedene internationale Hilfsorganisationen und die UN gearbeitet. Das Mittelmeer ist ein humanitärer Kontext mitten in Europa – wo wenn nicht hier sollte ich als Europäerin Hilfe leisten? Andererseits und auf eher persönlicher Ebene haben wir in meiner Wohngemeinschaft mehrfach Menschen mit Fluchthintergrund bei uns zuhause aufgenommen. Viele von ihnen waren auch über das Mittelmeer gekommen. Ich kenne also einige Menschen sehr persönlich, die diesen Weg durchmachen mussten.

Annika und allen Seenotretter:innen möchten wir als DA-ZWISCHEN-Community unseren aufrichtigen Dank aussprechen. Euer selbstloser Einsatz auf dem Mittelmeer ist ein Akt der Menschlichkeit, der unsere tiefste Bewunderung und Anerkennung verdient. Ihr stellt euch unermesslichen Gefahren und seid eine Quelle der Hoffnung für diejenigen, die in Seenot geraten. Euer Mut und eure Entschlossenheit ist ein großes Vorbild für uns. Wir senden euch unsere Gedanken, Gebete und Unterstützung, in dem Wissen, dass eure Bemühungen von unzähligen Menschen auf der ganzen Welt geschätzt werden. Ihr seid wahre Helden der Menschlichkeit, und wir sind zutiefst dankbar für euer unermüdliches Wirken.

So gut wir können, möchten wir als DA-ZWISCHEN-Community unterstützen und treten dem Bündnis „United4Rescue“ bei.

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